Potsdam gedenkt dem 8. Mai 1945
Die Landeshauptstadt Potsdam und die Brandenburgische Freundschaftsgesellschaft haben heute mit Vertreterinnen und Vertretern der Landesregierung, Landtagsabgeordneten, Stadtverordneten und Bürgerinnen und Bürgern Potsdams dem 71. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1945 gedacht. Am sowjetischen Ehrenmal am Bassinplatz sprachen Oberbürgermeister Jann Jakobs, Generaloberst a. D. Iwan Iwanowitsch Gorelowski als Vertreter des Veteranenverbandes der Westgruppe, und Vertreter der Botschaften Russlands und Weißrusslands. Wir dokumentieren die Rede von Oberbürgermeister Jann Jakobs (es gilt das gesprochene Wort):
„Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, sehr geehrter Herr Minister Görke, sehr geehrte Vertreter der Botschaft der Russischen Föderation und der Republik Belarus, sehr geehrter Herr Muck, meine Damen und Herren,
der 8. Mai 1945 gehört zu den tiefsten Zäsuren der deutschen und europäischen Geschichte.
Als an diesem Tag endlich die Waffen schwiegen, war das nationalsozialistische Regime, das den barbarischsten aller Kriege der Menschheit entfesselt hatte, zusammengebrochen.
Der totale Krieg des Deutschen Reiches hatte an diesem 8. Mai zu seiner totalen Niederlage geführt.
Ein Krieg war in Europa beendet, der über 60 Millionen Tote gefordert und ganze Städte in Schutt und Asche gelegt hatte.
Im 8. Mai 1945 konnten die Menschen im Osten wie im Westen Deutschlands bis 1989/90 den letzten gemeinsamen Bezugspunkt einer gesamtdeutschen Geschichte ausmachen: Das gemeinsame Erleben des Endes eines fast 6-jährigen Krieges und der 12-jährigen Diktatur des Nationalsozialismus. Im Ende des Zweiten Krieges war die jahrzehntelange Teilung des europäischen Kontinents bereits eingebrannt. Wenige Wochen später wurde sie im Prinzip auf der Konferenz im Schloss Cecilienhof verhandelt und die Weichen für eine bipolare Welt gestellt.
Damit ist die Erinnerung an den 8. Mai 1945 über weite Strecken in unserer deutschen Gesellschaft zweigeteilt. In der DDR diente der 8. Mai als „Tag der Befreiung“ der Untermauerung des antifaschistischen Gründungsmythos für das SED-Regime. Die verordnete Staatsdoktrin verhinderte jedoch eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, zumal als eine Folge des 8. Mais eine zweite, wenn auch anders geartete Diktatur auf deutschem Boden entstanden war.
Im Westen wiederum wurde der Blick auf den 8. Mai 1945 von der Frage bestimmt, ob Deutschland eine Niederlage oder eine Befreiung erlebt hatte.
Der 8. Mai 1945 – ein Tag, der uns und unsere Gesellschaft herausfordert, über Schuld und Verantwortung nachzudenken, über Schuld und Verantwortung zu reden und uns unserer deutschen Identität mit Schuld und Verantwortung aus der Geschichte bewusst zu werden.
In der und durch die Erinnerung an den 8. Mai 1945 – nunmehr zum 71. Mal – sehen wir sehr deutlich, wie mühsam und beschwerlich der Weg einer kritischen und oft schwer auszuhaltenden Auseinandersetzung mit unserer deutschen Vergangenheit war. Die Mehrheit der Zeitgenossen selbst erlebte den 8. Mai 1945 als Niederlage, hatten sich doch viele mit dem Nationalsozialismus identifiziert oder zumindest arrangiert. Und in den ersten Jahren nach dem Krieg versuchten viele Deutschen, das Trauma von Diktatur und Gewalt abzuwehren, abzuschließen. Sich von einer Mitschuld freizusprechen.
Deswegen sorgte die Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard Weizsäckers zum 40. Jahrestag des Kriegsendes 1985 für so großes Aufsehen – und hat ihre Bedeutung bis heute nicht verloren: Weizsäcker hatte in seiner Rede offen und schonungslos dargelegt, dass der 8. Mai für die Deutschen kein Tag der Niederlage war, sondern ein „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“. Und Weizsäcker mahnte, den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933, dem Tag, an dem der Reichspräsident von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannte, zu trennen. Denn das Ende des Krieges war nicht die eigentliche Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit. Die Ursachen liegen im Anfang und Beginn der Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte. Das ist der hohe moralische Anspruch der Weizsäcker-Rede und es ist auch unserer: nämlich der „Wahrheit ins Auge“ zu blicken, wie Weizsäcker es formulierte. Die Schuld anzuerkennen.
Diese Wahrheit eint uns, uns auf eine unverzichtbare Gemeinsamkeit im je individuellen Erinnern zu besinnen: auf die Trauer der Toten. Millionen von Menschen forderte dieser Krieg. Mehr als 6 Millionen europäische Juden wurden ermordet. Tausende Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, politisch Andersdenkende, Homosexuelle wurden verfolgt und getötet.
Unbeschreiblich große Opfer erlitt gerade die Rote Armee in der Beendigung der von Deutschland ausgegangenen Barbarei. Im Kampf um die Befreiung.
Meine Damen und Herren, heute können wir von einem Tag der Befreiung reden. Das ist nicht selbstverständlich. Die Erinnerung an den Tag stärkt das Fundament unserer Identität und gibt die Grundkoordinaten unseres Handelns vor: dem Bekenntnis zum Frieden, der Abwehr von Fremdenhass und dem Entgegenstellen dumpfer Plattitüden der Pegida-Parolen auch in unserer Stadt.“
Potsdam, 08.05.2016Veröffentlicht von:
Stadtverwaltung Potsdam
